Robert Walser, the great collector of beer bottles and candy wrappers.
Mein Schulkamerad Schacht ist ein seltsames Wesen. Er träumt davon, Musiker zu werden. Er sagt mir, er spiele vermittels seiner Einbildungskraft wundervoll Geige, und wenn ich seine Hand anschaue, glaube ich ihm das. Er lacht gern, aber dann versinkt er plötzlich in schmachtende Melancholie, die ihm unglaublich gut zu Gesicht und Körperhaltung steht. Schacht hat ein ganz weißes Gesicht und lange schmale Hände, die ein Seelenleiden ohne Namen ausdrücken. Schmächtig, wie er von Körperbau ist, zappelt er leicht, es ist ihm schwer, unbeweglich zu stehen oder zu sitzen. Er gleicht einem kränklichen, eigensinnigen Mädchen, er schmollt auch gern, was ihn einem jungen, etwas verzogenen weiblichen Wesen noch ähnlicher macht. Wir, ich und er, liegen oft zusammen in meiner Schlafkammer, auf dem Bett, in den Kleidern, ohne die Schuhe auszuziehen, und rauchen Zigaretten, was gegen die Vorschriften ist. Schacht tut gern das Vorschriften-Kränkende, und ich, offen gesagt, leider nicht minder. Wir erzählen uns ganze Geschichten, wenn wir so liegen, Geschichten aus dem Leben, d. h. Erlebtes, aber noch viel mehr erfundene Geschichten, deren Tatsachen aus der Luft gegriffen sind. Dann scheint es um uns her, Wände hinauf und hinunter, leise zu tönen.
Und dann klagt er öfters, und das liebe ich an der Unterhaltung. Ich höre gern klagen. Man kann dann den Sprecher so ansehen und tiefes, inniges Mitleid mit ihm haben, und Schacht hat etwas Mitleiderweckendes an sich, auch ohne, daß er Betrübliches spricht. Wenn feinsinnige Unzufriedenheit, d. h. die Sehnsucht nach etwas Schönem und Hohem, in irgend einem Menschen wohnt, dann hat sie es sich in Schacht bequem gemacht. Schacht hat Seele. Wer weiß, vielleicht ist er eine Künstlernatur.
Er hat mir anvertraut, daß er krank ist, und da es sich um ein nicht ganz anständiges Leiden handelt, hat er mich dringend gebeten, Schweigen zu beobachten, was ich ihm natürlich auf Ehrenwort versprochen habe, um ihn zu beruhigen. Ich habe ihn dann gebeten, mir den Gegenstand der Erkrankung zu zeigen, doch da wurde er ein wenig böse und kehrte sich gegen die Wand. »Du bist schamlos,« sagte er mir. Oft liegen wir beide so, ohne ein Wort zu reden. Einmal wagte ich, seine Hand leise zu mir zu nehmen, doch er entzog sie mir wieder und sagte: »Was machst du für Dummheiten? Laß das.« – Schacht bevorzugt den Umgang mit mir, das merke ich nicht gerade deutlich, aber in solchen Dingen ist Deutlichkeit gar nicht nötig. Ich habe ihn eigentlich riesig gern und sehe ihn als eine Bereicherung meines Daseins an. Natürlich sage ich ihm so etwas nie. Wir reden Dummheiten miteinander, oft auch Ernstes, aber unter Vermeidung großer Worte. Schöne Worte sind viel zu langweilig.